Krimi schreiben – aber richtig

Was erwarten Sie, wenn Sie einen Krimi lesen? Bestimmt eine spannende Handlung. Üblicherweise geschieht ein Mord zu Beginn und der Rest des Buches handelt von der Ermittlerin, die durch Befragungen von Zeugen und Verdächtigen langsam aber sicher Erkenntnisse über den Mörder gewinnt. Sie raten als Leser mit, versuchen versteckte Hinweise im Text zu finden. Einfaches Rezept für: Krimi schreiben. Oder nicht?

Der Start – der wichtigste Moment

Alles beginnt mit der ersten Seite, wenn Sie einen Krimi schreiben. Wie verhalten Sie sich in der Buchhandlung? Bestimmt nehmen Sie einen Krimi aus dem Regal, sehen sich das Titelbild an, lesen den Klappentext und höchstwahrscheinlich die erste Seite.

Danach fällt Ihre Entscheidung: Kaufen oder Zurückstellen.

Was ist also das Ziel einer guten Autorin? Es ist, Leser gleich mit der ersten Seite zu packen. Viele Schreibratgeber gehen darauf ein. Die erste Seite ist die Bewerbung, gerichtet an den Leser. Wenn Sie einen Krimi schreiben, dann muss die erste Seite potentielle Leser von Ihren Fähigkeiten überzeugen.

Leider ist es immer wieder so, dass Anfänger daran scheitern. In zwei Teilen möchte ich darauf eingehen, wie ein Autor, der in einem Zuschussverlag seinen Krimi veröffentlichte, sogar das gesamte erste Kapitel in den Sand setzte, nicht nur die erste Seite.

Wie man keinen Krimi schreiben darf

Beginnen wir mit der Anfangsidee seines Plots. Sie ist sogar überraschend gut und birgt das Potential einer spannenden Handlung:

Ein Mann reist im TGV von Zürich nach Paris. Im Speisewagen setzt sich ein Unbekannter zu ihm und beschuldigt ihn des Mordes an einer Frau, von welcher der Mann noch nie gehört hat. Das bringt die Handlung ins Rollen.

Eine durchaus gute Idee. Die Handlung erinnert an den Thriller „North by Northwest”, gedreht von Alfred Hitchcock. Auch hier gerät ein Unschuldiger (gespielt von Cary Grant), allerdings in einem Hotel, während einer Geschäftsbesprechung, in die Fänge von Gangstern. Sie verwechseln ihn mit einem bekannten Verbrecher, schenken Unschuldsbeteuerungen keinen Glauben und wollen ihn töten.

Nehmen wir an, wir wollen so einen Krimi schreiben. Was setzt die Handlung in Gang? Die Konfrontation zwischen dem Unschuldigen und bösen Menschen. Im Film löst Hitchcock das recht schnell. Kurz wird Cary Grant vorgestellt, wozu er im Hotel ist und wie er aus Versehen an der Rezeption mit der anderen Person verwechselt wird. Es erregt die Aufmerksamkeit zwielichtiger Gestalten, die sich bald um Cary Grant „kümmern.“

Soweit, so gut.

Die Planung des Romanbeginns

Da die erste Seite, bzw. das erste Kapitel entscheidend ist, muss es gut geplant sein. Wie würden Sie vorgehen, wenn Sie einen Krimi schreiben, der die geplante Handlung mit der Zugreise und dem Aufeinandertreffen mit dem Unbekannten hat?

Es sind einfache Fragen, die Sie sich stellen müssen. Die wichtigste ist:

Was müssen die Leser zu diesem Zeitpunkt wissen?

Zuerst einmal müssen Leser die Hauptfigur kennenlernen und ein positives Bild gewinnen. Es muss eine sympathische Person sein, der man nichts Böses wünscht. Die Person sitzt aus einem bestimmten Grund im Zug nach Paris. Das sollten Sie dem Leser klar machen. Je nachdem wie wichtig die Ursache der Zugreise für die weitere Handlung ist, können Sie näher darauf eingehen. Allerdings ist es wichtig, eine Balance einzuhalten. Zu diesem Zeitpunkt ist es unwichtig, wie das bisherige Leben der Hauptfigur im Detail aussah. Sie müssen den Hintergrund umfassend kennen – Ihre Leser nicht. Jedenfalls nicht zu diesem Zeitpunkt.

Weshalb?

Nehmen wir an, Sie sind zu einer Party eingeladen und freuen sich auf die Gäste. An der Tür erwartet Sie der Hausherr, der Sie noch nicht hinein lässt. Stattdessen erzählt er Ihnen lang und breit weshalb er sich die Party ausgedacht hat. Alles fing letzten Monat an, da passierte nämlich folgendes …

Sie verstehen, worauf ich hinaus will? Sie wollen Leute kennenlernen. Es gibt eine Party, die X veranstaltet. Wieso und warum der X das tat, brauchen Sie an der Tür nicht zu erfahren. Es langt, wenn Sie im Lauf des Abends hin und wieder etwas aufschnappen und sich einen Reim auf die Hintergründe machen können. Eine lange Erzählung an der Tür langweilt Sie nur und verdirbt Ihnen die Lust auf die Party.

Im Roman ist es genauso. Sie wollen in die Handlung eintauchen und nicht seitenlange Lebensläufe vorab lesen.

Zum Kern der Handlung kommen beim Krimi schreiben

Bleiben wir beim Beispiel der Party. Sie wissen, dass eine bestimmte Person Y anwesend ist. Die wollen Sie unbedingt kennenlernen. Wie würden Sie sich fühlen, wenn sich Ihnen die anderen Gäste in den Weg stellen und Ihnen ihre Lebensgeschichte erzählen?

Genervt?

Ich denke schon. Natürlich will man auf einer Party andere Leute kennenlernen. Aber gleich alle auf einmal? Wahrscheinlich würden Sie erst einmal gerne auf Y zusteuern, mit Y reden und danach im Lauf des Abends mit weiteren Menschen. Schließlich war Y der Hauptgrund für den Besuch der Party. Die anderen Teilnehmer sind das Sahnehäubchen, das man genießt, nachdem man sich ausgiebig mit Y beschäftigt hat.

Was bedeutet das genau: Krimi schreiben?

Sie brauchen in einem Krimi viele Figuren und damit Verdächtige, um die Handlung spannend zu gestalten. Aber der Hauptgrund für Ihre Entscheidung einen Krimi zu kaufen war vermutlich der Mord, den es aufzuklären gilt. Also sollte dieser am Anfang passieren, damit die weitere Handlung ins Rollen kommt.

Übertragen auf den Plot „North by Northwest“ ist es kein Mord, sondern die Begegnung mit einer zwielichtigen Person. Das sollte recht schnell geschehen.

Entscheiden Sie selbst, was Sie im ersten Kapitel lesen möchten. Hier eine Auswahl denkbarer Handlungsstränge:

1. Die Hauptfigur steht auf, duscht und frühstückt
2. Die Hauptfigur packt den Koffer für die Reise
3. Die Hauptfigur ruft ein Taxi und fährt zum Bahnhof
4. Die Hauptfigur kauft im Kiosk eine Zeitung und Gebäck
5. Die Hauptfigur setzt sich ins Abteil
6. Die Hauptfigur führt lockere Gespräche mit anderen Passagieren im Abteil
7. Die Hauptfigur sieht aus dem Fenster und betrachtet die Landschaft
8. Die Hauptfigur geht zum Speisewagen
9. Die Hauptfigur begegnet dort einer zwielichtigen Person

Was aus der obigen Tabelle würde Sie interessieren?

Mich würde nur 8) und 9) interessieren. Denn das setzt die Handlung in Gang. Für den Zweck, die Hauptfigur den Lesern vorzustellen, wären Elemente aus 5) und 6) interessant. Man sollte 5) und 6) nutzen, um die Hauptfigur als nette Person zu definieren, mit der jede Leserin gerne im Abteil sitzen würde. Die Hauptfigur muss sympathisch sein, ein nettes Wesen haben. Ziel der Vorstellung ist, dass Leser sich Sorgen um die Hauptfigur machen und gleich am Anfang realisieren, dass die Vorwürfe des angeblichen Mordes an den Haaren herbeigezogen sind. Ansonsten wäre die Hauptfigur nur irgendein Mensch, dessen Wohlergehen uns wenig kümmert. Wer kümmert sich um unbekannte Menschen, die evtl. zusätzlich unsympathisch sind?

Damit sind die wichtigsten Elemente des ersten Kapitels abgehakt. Die Planung steht, das Krimi schreiben   (einfach oder?) kann beginnen.

Soweit, so gut. Doch gleich am Anfang sagte ich, dass der Autor seinen „Krimi“ in den Sand setzte. Das erste Kapitel ist völliger Schrott, weshalb nur ein Zuschussverlag – nachdem er sich die Veröffentlichung vermutlich gut bezahlen ließ – das Manuskript veröffentlichte. Damit hat der „Verlag“ ein Null-Risiko, denn durch die Zahlung des Autors ist er schon in der Gewinnzone. Ob der „Krimi“ sich verkauft, ist egal. Der Verlagschef kann schon mal im nächsten Autohaus anrufen und sich einen neuen Firmenwagen bestellen. Die Finanzierung steht.

So kann man natürlich auch einen Krimi schreiben.

Dazu mehr im zweiten Teil. Bleiben Sie dran.